Hochgenaue digitale Verkehrserfassung als Grundlage zukünftiger Mobilitätsforschung – Aufbau mobiler und modularer Messstationen
31.08.2021
Das vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und vom Bundesland Nordrhein-Westfalen geförderte Forschungsprojekt HDV-Mess beschäftigt sich mit der Konzeptionierung und Entwicklung mobiler und modularer Messstationen (ITS-Ss) zur hochgenauen Verkehrsdatenerhebung. Mithilfe einer geeigneten Konzeptionierung und Entwicklung solcher ITS-Ss können Messungen auf beliebigen Straßenquerschnitten sämtlicher Domänen, wie z.B. Stadt, Land und Autobahn über einen Zeitraum von mehreren Tagen vollautark durchgeführt werden. Die erfassten Daten dienen als Grundlage für die Entwicklung und Absicherung aktueller und künftiger Sensortechnologien sowie automatisierter Fahrfunktionen.
Durch den Einsatz mehrerer mobiler ITS-Ss pro Messquerschnitt, ist es möglich, das Verkehrsgeschehen aus multiplen Perspektiven parallel zu erfassen. In Kombination mit einer erhöhten Sensorposition, kann das Verkehrsgeschehen somit aus optimierten Blickwinkeln erfasst und Objektverdeckung minimiert werden. Durch die modulare Aufbereitung der ITS-Ss können zudem Sensoren ausgetauscht werden und deren Qualität untereinander verglichen und hinsichtlich ihrer Einsatzmöglichkeiten bewertet werden. Dies ermöglicht die Gewinnung weiterer Erkenntnisse im Bereich moderner Sensortechnologien, die aufgrund ihrer Bedeutung für das automatisierte Fahren hochrelevant sind.
Projektziel
Ziel des Forschungsprojekts HDV-Mess ist die hochgenaue Erfassung des Verkehrsgeschehens an verschiedenen relevanten Stellen und die Erhebung von Sensor- und Verkehrsdaten als Grundlage für die Entwicklung und Absicherung aktueller und künftiger Sensortechnologien sowie automatisierter Fahrfunktionen. Die aufgezeichneten Sensorrohdaten sollen dafür zunächst zentral auf einem Datenserver abgelegt werden und im weiteren Verlauf zur Extraktion von Verkehrsteilnehmertrajektorien dienen. Somit dienen die Sensorrohdaten einerseits als Grundlage für die Forschungsfelder Big Data und Maschinelles Lernen im Fahrzeugbereich. Andererseits wird durch die gesammelten Trajektorien aus dem Realverkehr eine wertvolle naturalistische Verkehrsdatengrundlage geschaffen. Der Genauigkeitsanspruch an die extrahierten Trajektorien liegt dabei bei wenigen Zentimetern. Zudem soll der Baustein als Grundlage für das ortsungebundene Testen von Intelligenten Transportsystemen im Realverkehr dienen. Zur Realisierung dieses Vorhabens wird ein Konzept für einen mobilen modularen vollautarken Baukasten von ITS-Ss zur hochgenauen Verkehrsdatenerfassung entwickelt.
Die konzipierten mobilen ITS-Ss sind in Form von PKW-Anhängern mit einem hydraulisch ausfahrbaren Mast ausgelegt, an dessen Mastkopf die Sensorik montiert ist. Zudem sind im Inneren des Anhängers die Recheninfrastruktur und das Stromaggregat verbaut. In Summe sollen vier dieser mobilen ITS-Ss errichtet werden, die durch einen mobilen Empfangsserver zu einem vollwertigen System ergänzt werden. Der mobile Empfangsserver dient der gebündelten lokalen Datenspeicherung an den jeweiligen Messquerschnitten. Um ausreichend diverse Verkehrsdaten pro Messquerschnitt zu erheben, ist es erforderlich, dass dieser über einen langen Zeitraum dauerhaft aufgezeichnet wird. Die für die Vollautarkie integrierten Stromaggregate und Zwischenspeicherbatterien ermöglichen eine durchgängige Aufnahmezeit von mehreren Wochen, ohne dass eine externe Stromzufuhr oder menschliche Aufsicht erforderlich ist. Durch eine offizielle Zulassung für den Straßenverkehr soll somit eine temporäre Installation einer Sensorinfrastruktur an unterschiedlichen Straßenquerschnitten ermöglicht werden. Abschließend sollen die erhobenen Messdaten mithilfe von Referenzmessungen durch beispielsweise Sensorikfahrzeuge oder Drohnen validiert und hinsichtlich ihrer Qualität bewertet werden. Auf diese Weise entsteht eine bedeutende Grundlage für die Forschung und Entwicklung innovativer Systeme und Funktionen.
Verkehrserfassungskonzept
Abb. 1 zeigt unser Gesamtkonzept der Verkehrsdetektion. Vier mobile ITS-Ss dienen als Schlüsselkomponenten zur Erfassung der Rohdaten und sind wie folgt aufgebaut: Die Basis jedes ITS-S besteht aus einem Anhänger, der mit einem ausfahrbaren Mast mit einer Maximallänge von acht Metern ausgestattet ist. Am Mastkopf sind insgesamt vier Sensoren montiert, die sich aus zwei Kamerasensoren und zwei Laserscannern (LiDAR) zusammensetzen (s. Abb. 2).
Abbildung 1: Übersicht über das in HDV-Mess angewendete Verkehrserkennungskonzept.
Zwei 128-Ebenen LiDARs sind mittig übereinander angeordnet und können in ihrem Neigungswinkel so eingestellt werden, dass sie immer die gesamte Breite einer beobachteten Szene maximaler Auflösung abdecken. An den Seiten des Mastkopfs befindet sich je eine 4K Dome-Kamera. Diese Kameras können beliebig um alle drei Achsen (PTR) und mit einem großen Brennweitenbereich gedreht werden, was verschiedene Anwendungsfälle ermöglicht. Sie können zum Beispiel nach unten gerichtet sein, um die LiDAR-Wahrnehmung zu ergänzen, oder zur Seite gerichtet, um das Sichtfeld (FOV) der ITS-S zu vergrößern. Für den Fall, dass mehrere ITS-Ss nebeneinander platziert sind, können die Kameras benachbarter Stationen so ausgerichtet werden, dass sie dieselbe Szene aus verschiedenen Blickwinkeln erfassen, was zu einer verbesserten dreidimensionalen Wahrnehmung führt. Beide Sensortypen liefern komplementäre Informationen über den aufgezeichneten Verkehr. Die Kamerasensoren liefern klare Farbinformationen, die z.B. für die Erkennung von Fahrspuren oder die Klassifizierung von Objekten nützlich sein können, wohingegen die LiDARs Informationen über die dreidimensionalen Geometrien der Objekte bereitstellen. Insgesamt erzeugt jede ITS-S vier Rohdatenströme, die über Wi-Fi an einen mobilen Server gesendet werden. Die Rohdaten werden anonymisiert und anschließend auf austauschbaren Festplatten gespeichert. Nach Abschluss einer Aufzeichnung an einem bestimmten Standort werden die Festplatten auf einen zentralen Server aufgespielt, wo die Daten zu Trajektorien weiterverarbeitet und in Datenbanken für den späteren Zugriff gespeichert werden. Eine beispielhafte Übersicht über die aufgezeichneten Sensorrohdaten und die Visualisierung der Objekterkennungs- und Klassifizierungsalgorithmen ist ebenfalls in Abb. 2 dargestellt.
Abbildung 2: Im Forschungsprojekt HDV-Mess entworfene mobile und modulare ITS-S (links) und Visualisierung der Objekterkennungs- und Klassifizierungsalgorithmen in aufgezeichneten Sensorrohdaten einer Verkehrsszene (rechts).
Förderung
Das Verbundprojekt HDV-Mess (EFRE-0500038 / EFRE-0500039) wird unter dem Titel „Hochgenaue digitale Verkehrserfassung als Grundlage zukünftiger Mobilitätsforschung – Aufbau mobiler und modularer Messstationen“ durch die Europäische Union und das Land Nordrhein-Westfalen gefördert.
Verbundpartner
- Institut für Kraftfahrzeuge (ika) der RWTH Aachen University – Projektkoordinator
- Visual Computing Institute (VCI) der RWTH Aachen University
- Neurosoft GmbH
Quelle: ika RWTH Aachen, VCI RWTH Aachen, Neurosoft GmbH