12.11.2020
Innovatives Verkehrstelematiksystem schützt belastete Bauwerke – Pilotprojekt Brückenwächter
Das erstmals in Deutschland eingesetzte System „Brückenwächter“ zum Schutz sanierungsbedürftiger Brücken soll verhindern, dass zu schwere Fahrzeuge über eine vorgeschädigte Brücke rollen. Im Rahmen dieses Pilotprojektes, welches in der Stadt Wetter (an der Ruhr) umgesetzt und am 05. Juni 2020 eröffnet worden ist, wurde getestet, wie ohne großen technischen und baulichen Aufwand (nicht invasiv) eine Beschränkung sicher durchgesetzt werden kann. Dabei wurden die Fahrer zu schwerer LKW in einem System aus Schildern und dynamischen Verkehrszeichen individuell darauf hingewiesen, dass sie die vor ihnen liegende Brücke nicht überfahren dürfen, sondern eine ausgewiesene Alternativ-Route wählen müssen.
Der Brückenwächter ist ein flexibles und schnell einsetzbares System, das den Schutz von Bauwerken etc. verbessert und damit die Lebenszeit bis zu einer Sanierung oder einem Neubau verlängert. Seine Besonderheit liegt in der nicht invasiven Ausbildungsform, d.h. es müssen keine aufwendigen Einbauten in die Straße oder gar der Einbau von Schrankenanlagen und Wiegesensoren vor sanierungsbedürftigen Brückenbauwerken erfolgen. Zudem wird durch die direkte Ansprache des Lkw-Lenkers mittels Verkehrszeichen, auf denen u.a. das Kennzeichen des zu schweren Lkws dynamisch eingeblendet wird, der personalintensive Einsatz von Ordnungs- und Koordinierungskräften in Abhängigkeit der jeweils örtlichen Gegebenheiten und Anforderungen an den schützenswerten Stellen nicht mehr notwendig.
Direkte und individualisierte Ansprache des Fahrers
Das Prinzip der direkten Ansprache des Fahrers ist der essentielle Baustein des Gesamtsystems. Auf einer LED-Anzeigetafel wird dem Fahrer das Kennzeichen seines Lkw angezeigt und unter der Kennzeicheninformation die Aufforderung, auf die Umleitungsstrecke abzubiegen. Die Brücke, die die B234 in der Stadt Wetter über die Ruhr führt, ist für Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 7,5 Tonnen gesperrt. Bis ein Ersatzneubau realisiert werden kann, muss die Brücke auf diese Weise geschützt werden.
In der Vergangenheit wurden über den Rhein auf zwei Autobahnen technisch komplexe Wiegeanlagen installiert, um zu schwere Fahrzeuge an der Überfahrt über eine Brücke zu hindern. Ein Aufwand, der angesichts der Vielzahl der in die Jahre gekommenen Brücken auch an Bundes- und Landesstraßen nicht überall zu leisten ist. Zudem ist es in manchen Fällen notwendig, dass die Sperrung eines Bauwerks für den Schwerverkehr sehr schnell erfolgen muss. Der Brückenwächter hat hier Vorteile. Anders als Wiegeanlagen und Schranken ist er flexibel einsetzbar und schnell aufgebaut.
Modernes Detektionssystem ermittelt Fahrzeugdaten
Bis ein LKW vom „Brückenwächter“ erkannt wird, hat der Fahrer schon einige Hinweise auf die gesperrte Brücke und die damit empfohlene Umleitung ignoriert. Die dynamischen Anzeigesysteme des Brückenwächters sind an der Stelle verortet, wo die letzte Möglichkeit einer Umfahrung gegeben ist. Und genau dort wird den Fahrern aufgezeigt, dass dort ihr Fahrzeug identifiziert wurde.
Eine Videokamera identifiziert mit Hilfe eines Laserscans Fahrzeugtyp, Fahrzeugklasse und Fahrzeugsilhouette. Mit Hilfe dieser Daten wird das zugelassene Gesamtgewicht des jeweiligen Fahrzeuges ermittelt. Mit Hilfe des ebenfalls gescannten Nummernschildes kann der Fahrer gezielt angesprochen werden. Die STVO-Beschilderung mit dem Verkehrszeichen 251 (Verbot für Kraftwagen und sonstige mehrspurige Kraftfahrzeuge) mit Zusatzzeichen 1052-33 (ab 7,5 to) beschreibt das Verbot der Befahrung des schützenswerten Brückenbauwerks.
Das elektronische System fordert die LKw-Lenker individuell auf, entsprechend der STVO-Vorgaben die Alternativ-Route zu nutzen. Die Umleitung für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 7,5 t erfolgt über die B226/Friedrichstraße.
Die Anzeige des Kennzeichens auf einem dynamischen Verkehrsschild stellt aus Sicht der Datenschützer kein Problem dar. Im Vorfeld des Brückenwächter-Projekts ist extra ein Rechtsgutachten zum Thema Datenschutz eingeholt worden. Das Kennzeichen kann anzeigt werden, da im Kontext des Systems Brückenwächter der Schutz des Lebens und der Gesundheit der Straßenverkehrsteilnehmer sowie der Schutz des Eigentums an den Brückenbauwerken im Vordergrund steht.
Zusätzlich ist es empfehlenswert zur Überwachung der Beachtung des Systems ein Ahndungssystem zu installieren. Passiert ein Lkw die Brücke trotz der direkten Aufforderung, eine Umleitung zu nehmen, kann auch das registriert werden. Z.B. wurde auf der Brücke ein weiteres Detektionssystem installiert, welches dann über das Ordnungsamt ein Bußgeldverfahren auslösen kann. Da bis dahin mehrere Schilder missachtet wurden, gilt der Vorsatz und ein Bußgeld wird fällig. Ausgenommen vom Verbot werden z.B. Rettungsfahrzeuge und der Öffentliche Nahverkehr oder von den Verwaltungsbehörden definierte Betriebs-Fahrzeuge, welche dementsprechend im Steuerungssystem hinterlegt werden müssen.
Forschungsbasierte Untersuchung der Wirkung individueller Ansprache
Im Rahmen dieses Forschungsprojektes wurden unterschiedliche Formen der „Ansprache“ per LED- Anzeigetafel getestet.
Mit Hilfe von Online-Befragungen wurde von der RWTH Aachen ermittelt, welche Schilderabfolge die größte Befolgungsrate aufweist. Anschließend wurden durch Fahrversuche mit Probanden im Fahrsimulator das gesamte System noch einmal überprüft. In einer ersten Phase wurden unter realen Bedingungen in der Stadt Wetter unterschiedliche Variationen der Informationen auf der LED-Anzeigetafel getestet. Letztlich wurde das Anzeigeoptimum entsprechend folgender Darstellung ermittelt.
Hintergrund
- Das Verbund-Projekt Brückenwächter wird unter dem Titel „Automatisiertes Ausleit- und Kontrollsystem zum Schutz sanierungsbedürftiger Brücken“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms „Anwender – Innovativ: Forschung für die zivile Sicherheit“ gefördert.
- Ziel ist die Entwicklung einer „interaktiven Verkehrsbeschilderung, mit deren Hilfe geschädigte Brückenbauwerke effektiv vor Schwerlastverkehr geschützt werden können, ohne dass dazu erhebliche Personalmittel von Ordnungsbehörden eingesetzt werden müssen“.
- Gleichzeitig könnten mit Hilfe des Systems „die Einhaltung von Nachtfahr- sowie Einfahrverbote bestimmter Fahrzeugklassen in Umweltzonen wirkungsvoller kontrolliert werden, ohne hierzu erhebliches Personal der Polizei zu binden“.
- Einsatzmöglichkeiten ergeben sich darüber hinaus dort, wo eine Höhenbegrenzung gegeben ist. Also unter Brücken oder in Tunneln.
Verbundpartner:
- Landesbetrieb Straßenbau NRW – Projektkoordinator
- Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen University
- Neurosoft GmbH
Quelle: straßen.NRW, Neurosoft GmbH, isac RWTH Aachen