20.11.2018
Mit Alexander Freitag, dem langjährigen Geschäftsführer des MVV und Gründungsmitglied unseres Vereins haben wir anlässlich seines beginnenden Ruhestandes über die Zukunft des Öffentlichen Verkehrs gesprochen. Das komplette Interview finden Sie nachfolgend:
ITS Bavaria: Herr Freitag, herzlichen Dank, dass sie sich als langjähriger Geschäftsführer des MVV, der in Ende September in den Ruhestand getreten ist, die Zeit genommen haben, uns für dieses Interview zur Verfügung zu stehen. Sie sind dem Verkehrssektor sehr verbunden und haben auch die Entwicklung der Technologien in den letzten 20 Jahre eng verfolgt. Erinnern sie sich noch? Früher sprachen wir von Verkehrstelematik, als die Informations- und Kommunikationstechnologie Einzug in unsere Branche hielt. Nach dem Begriff Verkehrstelematik wurde verstärkt der Begriff ITS verwendet, und heute blicken wir auf die Digitalisierung der Mobilität. Nicht nur Begriffe haben sich verändert, sondern auch die Herausforderungen sowohl im städtischen Bereich wie auch auf den Fernstraßen und den überregionalen Verkehrsnetzen. Ist es uns gelungen, unsere Hausaufgaben zu erledigen?
Freitag: Im Bereich der Digitalisierung stellen sich wegen der dynamischen Entwicklung immer neue Hausaufgaben. Künftig werden sich die Fortschritte auch nicht stetig, sondern disruptiv sowohl in der Verkehrssteuerung, der Information und bei den Vertriebsplattformen entwickeln. Dabei wird die Digitalisierung eine wesentliche Rolle spielen, aber natürlich nicht allein die Verkehrsprobleme lösen. Wir müssen auch „den Beton anrühren“ und unsere Infrastrukturen und Netze ertüchtigen. Dies muss vor allen Dingen bei den schienengebundenen Verkehrssystemen geschehen. Hier hat man in den vergangenen 20 Jahren die Hausaufgaben nicht erledigt. Allerdings sind die Weichen für die Zukunft mit geplanten Milliarden Investitionen richtig gestellt. Allerdings dauert Planung und Bau immer noch zu lange. Es gilt nun neben langfristigen Verbesserungen auch mittel- und kurzfristige Verbesserungen umzusetzen.
ITS Bavaria: Noch einmal zurück zum Wandel der verwendeten Begriffe: Verbunden ist damit mehr als nur ein Paradigmenwechsel. Welche Herausforderungen für den öffentlichen Verkehr stellen sich durch die Digitalisierungsoffensive?
Freitag: Für den öffentlichen Verkehr wird gelten, dass er in Zukunft noch mehr das Rückgrat der Mobilität stellt, als das heute der Fall ist. Das wird allein schon wegen der Luftreinhalteproblematik und durch den begrenzt vorhandenen Raum notwendig. Der ÖPNV wird weiter dort stark sein, wo er Massentransporte in Punkt- Punkt- Relation bedienen kann. Mittels der Digitalisierung ist es künftig leichter möglich, auch in Regionen und Zeiten schwacher Nachfrage ein für den Kunden attraktives öffentliches Verkehrsangebot bereit zu stellen. Hier bieten sich über digitale intermodale Buchungs- und Vertriebsplattformen künftig ganz neue Möglichkeiten. Man könnte die Entwicklung mit einem Satz so beschreiben: „Der öffentliche Verkehr wird mittels Digitalisierung wesentlich individueller werden und der Individualverkehr wird öffentlicher werden.
ITS Bavaria: Wenn also die Digitalisierungsoffensive die vollständige Fusion von Verkehrsträgern, Daten, Produkten und Dienstleistungen sowie eine Verzahnung der Grenzen von privaten und kommerziellen Angeboten bewirken soll, was dürfen dann die Nutzer von der Mobilität von morgen erwarten?
Freitag: Die Nutzer der Mobilität von morgen dürfen mehr nachhaltigen öffentlichen Verkehr mit mehr Angebot, dichteren Takten, aufnahmefähigeren Gefäßen erwarten, der intermodal, auch auf der Straße zunehmend elektrisch und autonom fahren wird.
ITS Bavaria: Herr Freitag, eine abschließende Frage möchten wir noch stellen: Welches Anliegen zur Verbesserung der Mobilität haben Sie bezogen auf unsere Landeshauptstadt und den umgebenden Großraum, das vordringlich angegangen werden sollte?
Freitag: Es sind Verbesserungen in allen Bereichen notwendig. Wichtig ist, dass die angedachten Konzepte auch handwerklich sauber und schnell umgesetzt werden. Es reichen nicht nur mittel und langfristige Perspektiven, man muss den Menschen auch schnelle Lösungen bieten. Dazu gehört z.B. auch ein einfacher gerechter und verständlicher Tarif. Dazu gehört weiter eine Erweiterung des räumlichen Verbundumgriffes. Künftig kann man sich perspektivisch in Bayern entsprechend den Aussagen des Obersten Bayerischen Rechnungshofes 3 Verbünde vorstellen, die das gesamte Gebiet abdecken. Weiterhin wird sich der MVV zukünftig zu einem Mobiltätsverbund entwickeln, der über den öffentlichen Verkehr hinaus weitere Mobiltätsangebote bündelt.
ITS Bavaria: Herr Freitag, danke für diesen umfassenden Ausblick. Für Ihren Ruhestand wünschen wir ihnen alles Gute und genießen Sie die Verwirklichung Ihrer privaten Pläne. Danke für Ihre Unterstützung unserer Gesellschaft von Anbeginn.