15.12.2023
Guten Tag Herr Venerius, Sie sind Vorstand der deubus AG und gleichzeitig Geschäftsführer von zwei Verkehrsunternehmen in Bayern, die Tochtergesellschaften der deubus AG sind. Wie sind die Zusammenhänge zu verstehen und was machen die Unternehmen konkret?
Seit Mitte der 90ger Jahre der EU-weite Wettbewerb auch im Öffentlichen Personenverkehr Fahrt aufgenommen hat, stand die mittelständisch geprägte Unternehmenslandschaft in Deutschland, insbesondere im Personennahverkehr, zunehmend unter neuem Wettbewerbsdruck. Die Unternehmen sahen sich einem bis dahin in der spezifischen Unternehmenswelt kaum bekannten EU-Regelwerk, welches sich in den Folgejahren weiterentwickelte und zum Teil hochkompliziert wurde, gegenüber und suchten nach neuen Strategien, um am Markt weiter zu bestehen.
Neben vielen anderen Initiativen fanden sich auch Busunternehmen aus dem gesamten Bundesgebiet zusammen, welche die deubus AG gründeten, um ein beachtliches Synergiepotential zu schaffen und fachliche Kompetenz zu konzentrieren. Heute fungiert die deubus AG als Konzernmutter, die mit Tochtergesellschaften am operativen Marktgeschehen teilnimmt und so die regionale Verwurzelung und Identität der einzelnen Unternehmen jeweils nutzen kann.
Dabei nehmen die einzelnen Unternehmen an Verkehrsausschreibungen im öffentlichen Personennahverkehr teil, bieten Kooperationen und Beteiligungen bei anderen öffentlichen oder privaten Unternehmen und bieten eigene Verkehrsleistungen wie z.B. hier in Bayern im Raum des MVV und in Landsberg am Lech an. Die deubus AG unterstützt bei allen Aktivitäten durch Beratung, Finanzierung, Koordinierung der Prozesse und die Formulierung und Überwachung der strategischen Ziele.
Wo in Deutschland sind Sie noch aktiv, außer den genannten Standorten in Bayern?
Derzeit haben wir Unternehmen verschiedener Ausprägung in Berlin, Sachsen, Hessen und Bayern. Aber auch in den anderen Bundesländern ist die deubus AG durch Ihre Aktionäre präsent und für manche Beratungsleistungen gefragt. Mit der Zentrale der deubus AG in Kirchhain, Hessen sind wir in der Mitte Deutschlands auch räumlich gut aufgestellt, um für unseren direkten Wirkungskreis aus allen Richtungen leicht erreichbar zu sein.
Interessant, gibt es Unterschiede in den einzelnen Bundesländern bei der Durchführung des ÖPNV?
Ja, durchaus. Zwar gelten die EU-Verordnungen und das deutsche Personenbeförderungsgesetz gleichermaßen in ganz Deutschland, aber die Länder haben noch eigene Nahverkehrsgesetze und eröffnen damit auch unterschiedliche Vorgehensweisen und Finanzierungen durch die Aufgabenträger (Städte und Landkreise), die sich zum großen Teil wiederum in unterschiedlich ausgeprägten Verkehrsverbünden organisieren. Und so wird der Markt insgesamt ziemlich undurchsichtig und steht z.B. der proklamierten Verkehrswende, bei der der öff. Personennahverkehr eine bedeutende Rolle spielen soll, im Wege.
Klingt recht verwirrend. Wie passt da ein Deutschland-Ticket in diese Struktur?
Das D-Ticket ist ein vom Bundesverkehrsminister per Bundesgesetz sozusagen „übergestülpter“ Tarif, der die Nutzung aller öff. Verkehrsmittel im Nah- und Regionalverkehr vereinfachen soll. Und das wurde auch erreicht, ohne allerdings über die Folgen nachzudenken und das komplizierte Finanzierungssystem weiter zu betrachten. Insofern, gute Idee – aber völlig unzureichend umgesetzt. Viele Fragen bleiben offen: Wer verteilt die Einnahmen? Wer darf das Ticket verkaufen? Wer steht für den Verlustausgleich dauerhaft zur Verfügung und wie wird dieser rechtskonform umgesetzt? Wer bezahlt die zusätzlich erforderlichen Kapazitäten auf besonders frequentierten Strecken? Alle diese Fragen sind bisher unbeantwortet und es sind noch viele weitere Fragen – z.B. nach der Kontrolle und Sicherheit vor Fälschung – offen. Die einzelnen Bundesländer, ja einzelne Verbünde, gehen recht unterschiedlich mit diesen Fragen um und schaffen so weitere Konfliktpotentiale und Unsicherheiten, statt zu vereinheitlichen.
Was rät die deubus AG Ihren Tochtergesellschaften zu diesem Thema?
Unsere strategische Ausrichtung ist klar formuliert: Dort, wo wir Auftragsverkehre fahren, betrifft uns das Thema finanziell kaum, da wir weder auf die Einnahmen angewiesen sind noch zu irgendwelchen Vertriebsstrukturen oder Kapazitätserweiterungen gedrängt werden können.
Dort, wo wir eigene Verkehre verantworten, können wir das Ticket nur auf Basis einer 100% – Ausgleichszusage durch den Aufgabenträger anbieten, verkaufen und kontrollieren. Fehlt diese Zusage, die in der Regel durch eine sog. „Allgemeine Vorschrift“ erlassen wird, gilt das D-Ticket nicht in unseren Fahrzeugen.
Welche Herausforderungen sind für Sie und Ihre Unternehmen neben der Bewältigung des D-Tickets weiter evident?
Nun, da gibt es einiges, was auf unsere Branche derzeit einwirkt. Es beginnt mit den gesetzlichen Regelwerken der EU im Hinblick auf den Wettbewerbsmarkt, aber auch die Fachkräfteausbildung, den Führerscheinerwerb etc., der Veränderung des Personenbeförderungsgesetzes, bis hin zu den Anforderungen der Antriebswende von Diesel auf Co2-freie Antriebe und zu guter Letzt den alles überragenden Fachkräftemangel. Bei allen Herausforderungen soll das Angebot natürlich für den Kunden ausgebaut werden, finanzierbar sein und vielleicht noch einen kleinen Gewinn abwerfen. Kurzum, fast die Quadratur des Kreises.
Was heißt das für die viel beschworene Verkehrswende in Deutschland?
Das bedeutet, dass der ÖPNV als wichtiger Bestandteil der Verkehrswende bereit ist, seinen Beitrag zu leisten, aber die Rahmenbedingungen geändert werden müssen und der zeitliche Ablauf auf einen realitätskonformen Horizont zu projizieren ist.
Abschließend die Frage, was eigentlich Ihre Motivation ist, Mitglied bei ITS Bavaria zu sein?
Bei ITS und insbesondere bei ITS Bavaria sammelt sich, wenn man so will, branchenübergreifende Kompetenz, die z.B. für das Thema Verkehrswende von herausragender Bedeutung ist. Beim Thema Verkehr und Mobilität spielen die unterschiedlichsten Aspekte eine Rolle, die aber letztlich alle in einem Zusammenhang stehen, dem Verkehrssystem. Wir sind mit unseren Unternehmen Teil dieses Systems und profitieren insbesondere von Innovationen im Bereich der Digitalisierung, aber auch von intelligenter Infrastruktur und smarten Verkehrswegen. Auch die Antriebswende war schon und ist Thema bei ITS und vieles mehr, so dass sich ein reger Austausch unter Fachleuten entspinnt, von dem alle profitieren können. Das ist der besondere Ansporn für mich und uns, bei ITS dabei zu sein. Und ein Verein bringt noch einmal mehr Möglichkeiten, über persönliche Kontakte zu profitieren.