15.11.2020
Für ITS gibt es nicht nur eine Standardisierungs-organisation (SDO). SDOs auf internationaler Ebene sind die vier „big player“
- International Organization for Standardization (ISO)
- Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE)
und, in geringerem Umfang für ITS,
- International Electrotechnical Commission (IEC) und
- International Telecommunication Union (ITU).
Außerdem ist die Society of Automotive Engineers (SAE) in diesem Kreis aufzuführen.
Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Thema „Wie entstehen ITS Standards und wer ist dafür verantwortlich?“. Nachfolgende Artikel werden die Themen „Aktuelle ITS Standardisierungs-aktivitäten“ und „Vorhandene ITS Standards“ behandeln. Die Artikelserie soll damit einen Einblick in eine wenig bekannte von Prozessen, Regeln, Richtlinien und politischen Aspekten geprägte interessante Materie vermitteln.
Bei den „big playern“ gibt es naturgemäß unterschiedliche Sichtweisen auf die Standardisierungs-felder zu ITS und C-ITS:
- Die Arbeiten bei IEEE, IEC, ITU und SAE wird thematisch bezogen in Gremien durchgeführt, die nicht ausschließlich ITS im Fokus haben, aber in einigen Fällen für ITS relevant sind. Als Beispiel ist die Standardisierung für die Kommunikation mit WLAN-Technik zu erwähnen, die 2010 in dem Standard IEEE 802.11p für die Kommunikation zwischen Fahrzeugen erweitert wurde (Dedicated Short Range Communication im Frequenzband von 5,85 bis 5,925 GHz). Ein weiterer, für ITS wichtiger Standard ist bei SAE gerade in Revision: SAE J2735 DSRC Message Set Dictionary. Dabei werden die Inhalte und Rahmen von Daten definiert, die über drahtlose Kommunikation im Fahrzeug-Umfeld ausgetauscht werden.
- Bei ISO TC204 – Intelligent Transport Systems beschäftigt man sich mit der Standardisierung von Datenverarbeitungs-, Kommunikations- und Steuerungssystemen im Feld von inner- und außerstädtischem Landverkehr. Dabei werden auch intermodale bzw. multimodale Aspekte bearbeitet. Fokusthemen sind: Verkehrsinformationen, Verkehrsmanagement, öffentlicher Verkehr, Frachtverkehr, Notfall-Dienste und kommerzielle Systeme im Bereich ITS. Themen, die sich ausschließlich mit fahrzeuginternen Informations- und Steuerungssystemen befassen werden bewusst ausgeschlossen.
ISO TC204 fühlt sich auch dafür verantwortlich, dass die Standardisierung mit anderen ISO Technischen Ausschüssen (TCs) abgestimmt wird und berücksichtigt auch die Arbeit von anderen SDOs. Aus diesem Grund gibt es sogenannte „liaisons“ zwischen TC204 und anderen ISO TCs und anderen SDOs. Im Rahmen der Liaisons wird angestrebt, Doppelarbeit in der Standardisierung zu vermeiden. Dennoch gibt es auch immer wieder strittige Bereiche, wie z.B. die Aktivitäten der ISO TC22 – Road Vehicles, die sich mit ihrem Konzept des „ausgedehnten Fahrzeugs“ (Extended Vehicle Concept) mit einem Thema beschäftigen, das für die Automobilindustrie von besonderer Wichtigkeit ist, obgleich es sich nicht auf das Fahrzeug allein bezieht. Potenzielle Überlappungen gibt es auch mit ISO TC268 – Sustainable Cities and Communities die sich naturgemäß auch mit ITS beschäftigen.
Auf europäischer Ebene sind drei SDOs zu nennen:
- Europäisches Komitee für Normung (CEN; französisch Comité Européen de Normalisation),
- European Telecommunications Standards Institute (ETSI),
- sowie mit Teilbeiträgen CENELEC.
Speziell der Technische Ausschuss CEN TC278 – Intelligent Transport Systems handelt im Umfeld des Intelligenten Verkehrs. Der Schwerpunkt liegt dabei in der Standardisierung von Applikationen (Message sets, Datenrahmen, Definitionen, Aspekte der sicheren (auch: verschlüsselten) Kommunikation), während sich ETSI auf die Themen der Kommunikation in den unteren OSI Schichten (Access etc). fokussiert. Die strategische Abstimmung zur Entwicklung von C-ITS Standards bei CEN TC278 und ETSI TC ITS erfolgt in einer von der EU geförderten ITS Coordination Group (ITS-CG).
Eine wichtige Voraussetzung für die Zusammenarbeit zwischen ISO TC204 und CEN TC278 ist eine Vereinbarung über die Gültigkeit von Standards, die in einem der beiden SDOs erstellt wurden und die Gültigkeit auch für die andere Organisation haben sollen. Diese Fälle sind durch das häufig angewandte sogenannten „Vienna Agreement“ aus dem Jahr 1989 (mit diversen Überarbeitungen, letztmalig in 2014) geregelt. Mit dieser Vereinbarung wird eine Synchronisierung der Standardisierungsprozesse bei ISO und CEN erreicht Außerdem soll mit dieser Vereinbarung die Doppelarbeit bei der Erstellung von Standards vermieden werden.
Auf nationaler Ebene werden diese SDOs und Associations gespiegelt durch DIN und DKE. DIN ist dabei Mitglied in CEN und ISO, DKE ist Mitglied in IEC und CENELEC.
Die Vorgehensweise zur Erstellung von Standards ist in allen SDOs ähnlich, mit teilweise aber wesentlichen Unterschieden, insbesondere bei der Finanzierung und Priorisierung. Die „Produkte“ der Standardisierung unterscheiden sich dabei aber in der Erarbeitung und auch in ihrer Wirkung:
- Der „einfachste“ Standard ist der Technische Report (TR). Ein TR beschreibt inhaltlich relevante Themen für die Standardisierung wie z. B. Ergebnisse einer Befragung zu technischen Themen und Inhalte der Arbeit in anderen SDOs.
- Eine weitere Form eines Dokuments ist die Technische Spezifikation (TS). Sie hat nur informativen Charakter und wird erstellt, wo zunächst keine Notwendigkeit für einen Standard erscheint oder die beinhalteten Technologien noch nicht reif dafür sind. Sie kann in kurzer Zeit erstellt werden und muss nicht von den nationalen Mitgliedern der SDOs mehrheitlich akzeptiert werden.
- Ein europäischer (EN) oder internationaler (IS) Standard unterscheidet sich von TR- und TS-Dokumenten dadurch, dass je nach Reifegrad des Dokuments in seinem Entstehungsprozess ein Entwurf zur Kommentierung verteilt wird. Dabei gibt es für die unterschiedlichen Phasen im mehrjährigen Entstehungsprozess leicht unterschiedliche Vorgehensweisen:
- Vorschlag
Der Vorschlag kann von jedem Interessierten kommen. Auch die Europäische Kommission (EC) kann die Erstellung von Standards verlangen, um die europäische Gesetzgebung zu unterstützen. In letzterem Fall gibt es für die Erstellung der Standards ein Mandat der EC. - Entwurf
Wenn die Erstellung eines Standards von der SDO akzeptiert wurde, dann wird sie einer zugehörigen Arbeitsgruppe zur Erstellung eines Entwurfs übergeben. Die Arbeitsgruppen bestehen aus nominierten Experten. Diese Nominierung erfolgt z. B. durch die nationalen Normungsgremien. - Kommentierung
Wenn der Entwurf von der Arbeitsgruppe als „fertig“ angesehen wird, erfolgt die Verteilung an nationalen Normungsgremien zur Kommentierung (Ausnahme: nicht bei der Standarderstellung innerhalb nationaler SDOs wie z. B. SAE). - Genehmigung
Der finale Entwurf beinhaltet bereits die Überarbeitungen aufgrund der eingereichten Kommentare aus den nationalen Normungsgremien. Dieser wird nun nochmals an diese versendet und um Genehmigung gebeten. - Veröffentlichung
Als (vorerst) letzter Schritt des Entstehungsprozesses. Danach folgen wiederkehrende Revisionen des Standards.
Die Konsensbildung über einen Standard erfolgt ebenso in unterschiedlichen Phasen:
- Akzeptieren eines neuen Arbeitsauftrags (Work Item)
Der Arbeitsauftrag für einen TR, eine TS oder einen internationalen Standard kann nur von den SDOs angenommen werden, wenn eine (in den SDOs und für das jeweilige „Zielprodukt“ unterschiedlich definierte) Mehrheit der Stimmen sich für die Notwendigkeit dieses Arbeitsauftrags ausspricht. In allen Fällen ist die Zustimmung von mindestens 5 Mitgliedsstaaten notwendig. - Konsens innerhalb der Arbeitsgruppe (WG)
Der WG-Leiter (convenor) teilt dem TC den Status der Akzeptanz eines Arbeitsauftrags in seiner WG mit. - Konsens innerhalb des TC
Das TC Sekretariat verteilt einen Entwurf unter den Mitgliedern des TCs. - Annahme des Standards
Der finale Entwurf des Standards wird für die Abgabe einer Formalen Stimme an die SDO Mitglieder verteilt. Es gibt nur 3 unterschiedliche Arten von Stimmen: Genehmigung, Ablehnung und Stimmenthaltung. Die (in den SDOs unterschiedlich definierte) Mehrheit der Stimmen entscheidet.
Quelle: SIEMENS Mobility GmbH und TSE Consulting